In der Musik halten die Großen mehr aus als die Kleinen. Größer ist besser: Groß rauskommen für die Band, große Namen für die Promoter*in, große Erlebnisse für die Fans und manchmal winkt das große Geld. Das große Musikgeschäft tickt kaum anders als der Rest der Welt. Und wer einmal groß ist, kann auch „downsizen“ wenn es denn sein muss – weil mit vollem Hosen ist gut stinken.
Das erste Live Konzert in den USA nach dem „Lockdown“ findet in Arkansas statt. Am 15. Mai tritt Travis McCready, die Stimme der US Country-Blues Band Bishop Gunn in Forth Smith, Arkansas live und solo auf, meldet heute die Musikseite Pitchfork. Der Venue „TempleLive“ reduziert für dieses Konzert seine Kapazität von 1100 Personen auf 229. Am Eingang wird Fieber gemessen, es gilt Maskenpflicht und in die Toilettenanlagen dürfen nicht mehr als 10 Personen gleichzeitig. Die Anordnung der zum Verkauf gelangenden Sitze in der bestuhlten Halle hält die Leute auf Abstand. Tickets können um USD 20,- nur gruppenweise gekauft werden. Im Marketingsprech heisst diese Anordnung dann „fan pods“ (auf Deutsch wären das wohl „Besucher*innenkapseln“) und dieser Name soll vielleicht ängstlicheren Besucher*innen signalisieren, dass sie schön „abgekapselt“ und infektionssicher bleiben.
Einerseits hat das etwas Aktivistisches: Mit dem vorauseilenden Datum wird die drei Tage später in Arkansas in Kraft tretende Verordnung einer Besucher*innenlimitierung von 50 Personen für Events unterlaufen. Das internationale Interesse für diesen Stunt gilt aber wohl eher seinem Experimentcharakter. Es fragen sich ja alle in der Branche, wann und wie soll es weiter gehen?
Die Sache erscheint, wie vieles in diesen Tagen, paradox. Sehen wir einmal davon ab, mit wieviel Charme und Stimmung ein zu mehr als drei Vierteln leerer Konzertsaal die Bühnenenergie des wackeren Travis McCready zu unterstützen vermag. Lassen wir auch die kulturwirtschaftlichen Frage nach dem Break Even eines solchen Abends beiseite. Eigentlich spannend hier sind das Morphing zwischen groß und klein und damit verbunden die sich abzeichnenden Spiele mit den eingefahrenen Rangordnungen in der Musik. Ein Clubgig in der Konzerthalle also.
Fast jeder Act hat einmal klein angefangen. Selbst wenn die Karriere gelungen und die Künstler*in später groß raus gekommen sein sollte bleibt es würdig, sich dieser Wurzeln zu besinnen und hin und wieder kleine Clubs zu beehren – Patti Smith z.B. macht das regelmäßig. Die geringe Kapazität des Venues wird dabei durch die besondere Intimität, Atmosphäre und Nähe zu den Fans ausgeglichen. Gut für das Image, gut für die Kreativität. Der Austausch sozialer Energie läuft in dieser Situation nicht zuerst über das Geld, sondern vorrangig über die Beziehung zum Publikum und die Begeisterung.
Wenn jetzt große Venues downsizen und Clubgigs hosten, was machen dann die kleinen Clubs? Ihre Bühnen sind die Plattform für den Anfang der Karrieren jede*r Aufsteigerin. Und ihr leidenschaftliches und wissendes Publikum bietet Zuflucht und Nische für Alle, die sich lieber kompromissloser Ästhetik als Aufsteigerphantasien widmen. Wie kann diese „kritische musikalische Infrastruktur“ weiter bestehen? Wie kann ein kleiner Club diesen Raum der Begegnung so lange halten, bis alle sich „Irgendwann“ wieder ohne Bedenken nahe sein können? „Fan Pods“ für 3 Leute?
Wir werden uns wohl neu erfinden müssen. Das Gute daran: Das bloße „hochfahren“ von vor-Corona-Gepflogenheiten wird nicht reichen. Und die Monetarisierung der allgegenwärtigen Streams wohl auch nicht. Aber es gibt ohnehin viel zu Vieles aus der neoliberalen Welt, das längst auch in unserer Szene eingedrungen war und dessen Rückkehr in den Underground nicht wünschenswert ist. Dafür hat sich in der Zeit des Hammers vieles an Solidarität und Rückhalt manifestiert, dass wir gerne in den Wieder- oder besser Neuaufbau mitnehmen wollen. Und so sehen wir den Versuch von „TempleLive“ und Travis McCready in Amerika bis auf Weiteres gerne einmal unter diesem Blickwinkel, bleiben aber aufmerksam.
Michael